In der Homerforschung ist seit den Arbeiten von Milman Parry die Frage nach der Entstehungsweise der Grossstrukturen von Ilias und Odyssee zunehmend in den Hintergrund getreten; als vordringlich erwies sich die Aufgabe, zunächst in den Elementarbereichen «Vers, Szene, Erzählmuster» (pattern) Traditionelles von individuell Gestaltetem zu scheiden. Eine Einigung darüber, was als traditionell und was als individuell zu gelten hat, konnte jedoch bisher noch nicht erzielt werden; Haupthindernis war der Dissens über das Wesen der epischen Formel - deren reichliche Verwendung als Indiz für Traditionalität galt.
In dieser Arbeit wird zu zeigen versucht, dass nicht Formelhaftigkeit das Kriterium für Traditionalität ist, sondern eine bestimmte Art der Versbildung. Zu diesem Zweck wird an einem ausgewählten homogenen Szenentyp der Versbildungsprozess als solcher rekonstruiert. Durch Simulation des Improvisationsvorganges kann gezeigt werden, dass der epische Sänger den Vers nicht aus Formeln zusammensetzt, sondern aus primär gesetzten Elementen und aus sekundär bzw. tertiär usw. eingepasstem Komplettierungsmaterial; Formeln sind in der Regel nicht Instrumente dieses Kombinationsverfahrens, sondern Ergebnisse.
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