Ein effektiver Menschenrechtsschutz ist ohne Erodierung staatlicher Souveränität nicht möglich. Zugleich ist das Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten ein Grundprinzip des Friedensrechts und damit des Menschenrechtsschutzes. Dieser Konflikt ist im internationalen Strafrecht besonders virulent: Es liegt im Interesse des Menschenrechtsschutzes, der Straffreiheit der Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen ein Ende zu setzen. Zugleich besteht die Gefahr, dass nur Staatsangehörige schwacher Staaten vor fremde Gerichte gestellt werden, während entsprechende Eingriffe in die Souveränität mächtiger Staaten faktisch ausgeschlossen bleiben. Die Gefahr der Selektivität und der Schaffung von Doppelstandards für reiche und arme Staaten ist das stärkste Argument gegen die internationale Strafrechtspflege.Anne Kindt diskutiert diese Problematik unter Berücksichtigung vieler aktueller Fälle anhand der noch immer unklaren Konzepte des Weltrechtsprinzips und des Komplementaritätsprinzips. Im Zentrum ihrer Untersuchung steht die Frage, wann nationale Gerichte und der ICC ihre Strafgewalt über extraterritoriale Fälle von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ausüben sollten. Im Ergebnis plädiert sie für eine vorsichtige, respektvolle Ausübung internationaler Strafgewalt, da eine konsequente Anwendung des Prinzips der individuellen strafrechtlichen Verantwortung (noch) nicht real ist.
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