In der aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschung ist eine Hinwendung zu vergleichenden Fragestellungen zu verzeichnen. Vor diesem Hintergrund wird ein historischer "Zufall" aus der frühmittelalterlichen Geschichte in den Blick genommen: Mitte des 8. Jahrhunderts wechselten sowohl im Frankenreich als auch im islamischen Kalifat die Herrscherdynastien, Merowinger und Umayyaden wurden nahezu zeitgleich durch Karolinger bzw. Abbasiden ersetzt. Welche Argumente wurden dabei von den Usurpatoren benutzt, welche Strategien verfolgt, um den Untertanen, namentlich den Angehörigen der Eliten, die Rechtmäßigkeit der eigenen Machtausübung schlüssig plausibel zu machen? Während die Abbasiden behaupteten, als Verwandte des verstorbenen Propheten Mohammed über ein spezielles, erbliches Charisma zu verfügen, das ihnen den Zugang zu einem unvergleichlichen, islamisch begründeten Herrschaftswissen eröffne, konstruierten die Karolinger mit Hilfe der Kirche, namentlich des römischen Papsttums, ein besonderes Amtscharisma, mit dessen Hilfe sie sich als Exponenten eines verchristlichten Herrschertums und als geistliche Verwandte des Nachfolgers des heiligen Petrus inszenierten. Trotz aller Unterschiede versuchten beide Dynastien, sich als Exponenten eines sakral konnotierten Herrschertums zu etablieren. Die konkreten Spielräume, die sich den politischen Akteuren eröffneten, hingen jedoch entscheidend von den historischen Rahmenbedingungen ab, namentlich vom jeweiligen Stadium der religiösen Traditionsbildung und den vorherrschenden religiös-kulturellen Paradigmen zur Vergangenheitsrezeption. Untersucht werden erb- und amtscharismatische Konzeptualisierungen der Herrschaft, Fragen der Rekrutierung von Eliten sowie Probleme der Instrumentalisierung und Transformation religiöser Vorstellungen zum Zweck der Integration politischer Gemeinwesen. Die Arbeit unternimmt eine umfassende Kontextualisierung zweier "Ereignisse" der politischen Geschichte, wobei sie Fragestellungen der Religions-, Kultur- und Sozialgeschichte aufgreift und funktionale Äquivalente in den beiden untersuchten religiös-politischen Systemen aufzeigt. Das Instrumentarium des Vergleichs ist wesentlich von den Kategorien Max Webers und Pierre Bourdieus inspiriert, wobei der methodische Ansatz des Vergleichs unter Aufnahme von Anregungen der neueren Globalgeschichte weiterentwickelt wird. Durch die Analyse zweier komplementärer Phänomene aus der christlich-lateinischen sowie der arabisch-islamischen Geschichte leistet die Arbeit einen Beitrag zur Konzeptualisierung einer politischen Kulturgeschichte in der Vormoderne. Die theoriegeleitete, komparative und problemorientierte Untersuchung macht Methoden und Konzepte der Historischen Komparatistik für die Frühmittelalterforschung fruchtbar und unterstützt auf diese Weise die geschichtswissenschaftliche und mediävistische Theoriebildung.
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