Diese Schrift des Aristoteles wird häufig und zu recht als Fundgrube für zentrale Aspekte seiner Seelenlehre gesehen - Fragen des Leib-Seele-Verhältnisses, der Abstraktion, des sog. Gemeinsinns, der Intentionalität etc. Das Werk verdient es jedoch, auch für sich gelesen zu werden. De memoria et reminis-centia ist zunächst eine kurze Untersuchung, die sich an De anima anschließt. Als Untersuchung besitzt die Schrift eine gewisse Struktur, und verfolgt bestimmte Ziele, nämlich die Definition seiner Gegenstände. Gedächtnis und Erinnerung, die zu Gedächtnis führen kann, sind nach Aristoteles keine eigenen Vermögen. Sie werden durch Weiterentwicklung von in De anima bereits dargestellten Vermögen erklärt. Als Beitrag zur Aristotelischen Psychologie ist De memoria et reminiscentia Physik - nicht Erkenntnistheorie, sofern diese über die Erklärung von Erkenntnis hinausgeht. Hierin unterscheidet sich die Untersuchung grundlegend von den klassischen philosophischen Auseinandersetzungen mit Gedächtnisphänomenen von der Neuzeit bis heute. In gewisser Weise könnte sie daher eher als Beitrag zu empirischer Gedächtnisforschung zu verstehen sein. Aber diese Erwartung wird enttäuscht, nicht nur weil Aristoteles keine Experimente durchführt, sondern weil seine Erörterung doch viel mit der Erklärung von Wahrnehmung und Wissenschaft gemeinsam hat. Wie es hier anvisiert ist, umfaßt Gedächtnis nicht sämtliche Speicherphänomene (in etwa das Aufbewahren von Erkanntem), die Aristoteles' Psychologie zuläßt. Vielmehr baut seine Theorie auf einem dieser Vermögen auf, nämlich der Vorstellung. In erster Linie geht er vom persönlichen Gedächtnis aus, also Erinnerung an erkannte Episoden im eigenen Leben, um dann doch Erinnerung an allgemeine Inhalte in diesem Rahmen erklären zu können.
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