Das Zensurverbot des Grundgesetzes scheint auf den ersten Blick eine ausreichende Direktionskraft zu besitzen, um Kommunikation vor jeglicher Zensur schützen zu können. Und doch weisen das Bundesverfassungsgericht und der überwiegende Teil der Fachliteratur der Vorschrift nur einen begrenzten Geltungsbereich zu. Angesichts gegenwärtiger informationstechnologischer Kontrollmöglichkeiten stellt sich immer drängender die Frage nach der Plausibilität dieser über fünfzigjährigen Deutungsgeschichte. Vor diesem Hintergrund hat sich der Autor die Aufgabe gestellt, einen gefährdungsadäquaten Zensurbegriff zu entwickeln, der die zwingenden Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG erfüllen kann, ohne zugleich verfassungsrechtlich gewollte Regulationsmechanismen zu suspendieren.Im ersten Teil der Untersuchung werden die seit Bestehen des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG vorgeschlagenen Verbotsvorstellungen zusammenhängend dargestellt. Sodann folgt eine Erörterung der jahrhundertealten Zensurerfahrungen und die daraus entstandenen historischen Zensurverbote. Im zweiten Teil widmet sich der Verfasser zunächst der Entwicklungsgeschichte und dem Regelungskontext des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Anschließend entwickelt er Kriterien zur Abgrenzung der Zensur von sonstigen Grundrechtseingriffen. Im Ergebnis weist Thomas Nessel dem Zensurverbot die Funktion zu, eine Etablierung lähmungsgeeigneter Inhaltskontrollverfahren zum Schutz des dynamischen Kommunikationsprozesses zu verhindern. Verfassungswidrige Zensur ist danach ein formal beschreibbarer Grundrechtseingriff in Form der Vor- als auch der Nachzensur und meint jede generelle Kommunikationsüberwachung, der ein zurechenbares Sanktionspotential zur Verfügung steht.
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